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AutorenbildJörg Tausendfreund

Agilität wird völlig missverstanden!


Agil heißt nicht, dass alles unstrukturiert und spontan ist


Liebe Projektmanagement-Enthusiasten und solche, die es noch werden wollen!


Hier meldet sich wieder Jörg Tausendfreund, Projektmanagement-Erklärer und Projektveteran, der mehr agile Projekte gesehen hat, als ihr Post-its in eurem Leben geklebt habt.


Heute habe ich ein Thema für euch, das mir schon länger auf der Seele brennt: Agilität.


Und um es klar zu sagen: Was viele von euch da draußen unter "agil" verstehen, ist leider oft nichts weiter als Chaos, getarnt als Innovation. Es ist Zeit, die Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und den Begriff Agilität wieder mit Substanz zu füllen.



Agil als Buzzword: Die traurige Entwicklung eines guten Ansatzes

Nach hunderten sogenannten "agilen" Projekten muss ich es endlich aussprechen: Was viele Unternehmen als "agil" bezeichnen, hat mit echtem agilen Arbeiten so viel zu tun wie ein Kindergeburtstag mit strategischem Planungsworkshop.


Die Wahrheit ist: Agil ist zum Buzzword verkommen.


Ein Freifahrtschein für "Wir machen einfach mal und schauen dann" – Hauptsache ohne zu viel Struktur, Planung oder Dokumentation.


Aber wahre Agilität bedeutet mehr Disziplin, nicht weniger. Agilität ist kein Vorwand für Unordnung oder Unverbindlichkeit.


Das Missverständnis beginnt schon mit der Art und Weise, wie viele glauben, "agil" umzusetzen.


Agil bedeutet nicht, dass ihr morgens aufsteht und spontan entscheidet, woran ihr arbeiten wollt.


Es bedeutet auch nicht, dass ihr Meetings nach Lust und Laune abhält, und schon gar nicht, dass ihr auf klare Zielsetzungen verzichtet, weil "wir ja flexibel sind".


Das Chaos, das viele als Agilität verkaufen, ist eigentlich der direkte Weg in den Misserfolg – und das nur, weil man den Unterschied zwischen Flexibilität und Beliebigkeit nicht versteht.



Die traurige Realität

Viele Unternehmen nutzen Agilität als Ausrede für mangelndes Projektmanagement. Das Ergebnis sind chaotische Projekte ohne klare Ziele, ohne Verantwortung und ohne Fortschritt.


Wenn dein agiles Projekt im Chaos endet, hast du Agilität schlichtweg falsch verstanden.


Agil zu sein bedeutet nicht, ohne Plan zu agieren, sondern flexibel zu planen und dabei stets den Fokus auf das Ergebnis zu behalten.


Ein agiles Projekt ohne Disziplin ist wie ein Schiff ohne Steuermann: Es mag vielleicht in Bewegung sein, aber niemand weiß genau, wohin.



Die häufigsten Missverständnisse über Agilität

Lass uns Klartext reden – hier sind die häufigsten Missverständnisse, die ich in den letzten Jahren immer wieder gesehen habe:


  1. "Daily Standup = kurz quatschen ohne Struktur" Viele denken, ein Daily Standup ist einfach nur ein kurzes Treffen, bei dem jeder erzählt, was er gerade so macht. Nein, meine lieben Projektrebellen, das Daily ist ein synchrones Meeting zur Abstimmung über den Fortschritt. Es soll Transparenz schaffen und Hindernisse aufdecken – und das geht nur mit Struktur und einem klaren Ziel. Ohne ein klares Format wird das Standup schnell zu einer Zeitverschwendung, bei der jeder "sein Ding" erzählt, ohne dass das Team wirklich davon profitiert. Das Standup ist die Gelegenheit, schnell und effizient auf Herausforderungen zu reagieren und das Team auf Kurs zu halten.

  2. "Sprint Planning = grobe Ideen sammeln" Ein Sprint Planning ist keine Brainstorming-Session, bei der ihr locker flockig Ideen in den Raum werft. Es ist der Moment, in dem das Team verbindliche Zusagen trifft über das, was im nächsten Sprint erledigt werden soll. Ohne klare Planung ist das Sprintziel nicht mehr als heiße Luft. Im Sprint Planning wird das Fundament für die nächsten Wochen gelegt. Wenn hier geschlampt wird, leidet der gesamte Sprint darunter. Planung bedeutet nicht, jede Kleinigkeit festzulegen, aber es bedeutet, ein klares Ziel vor Augen zu haben und die Schritte zu definieren, um dorthin zu gelangen.

  3. "Keine Dokumentation nötig, wir sind ja agil" Ein weiterer Irrglaube: Dokumentation wäre unagil. Falsch! Dokumentation bedeutet nicht, dass ihr Berge von Papier erzeugen sollt, sondern dass ihr die wichtigen Informationen für euer Team und die Stakeholder zugänglich macht. Transparenz ist der Kern von Agilität, und dazu gehört auch, dass wichtige Dinge festgehalten werden. Ohne Dokumentation entsteht schnell Unklarheit darüber, was getan wurde, warum Entscheidungen getroffen wurden und welche Aufgaben noch offen sind. Gute Dokumentation ist nicht bürokratisch, sondern effektiv. Sie dient als gemeinsames Gedächtnis und hilft dabei, dass jeder jederzeit auf dem aktuellen Stand ist.

  4. "Retrospektiven sind optional" Ich kann nicht oft genug betonen, wie wichtig die Retrospektive ist. Sie ist das Herzstück der kontinuierlichen Verbesserung. Wenn ihr die Retrospektiven auslasst oder nur halbherzig durchführt, beraubt ihr euer Team der Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen und besser zu werden. Eine Retrospektive ist nicht einfach nur eine Nachbesprechung, sondern der Moment, in dem das Team reflektiert und sich gezielt überlegt, wie es den Prozess verbessern kann. Die Retrospektive ist der Ort, an dem sowohl das, was gut lief, als auch das, was schlecht lief, besprochen wird – offen, ehrlich und konstruktiv. Ohne Retrospektive bleibt ihr immer wieder an denselben Problemen hängen.

  5. "Der Product Owner ist nur eine Stimme unter vielen" Der Product Owner ist nicht einfach nur irgendein Teammitglied, das gelegentlich mal eine Meinung äußern darf. Der Product Owner ist die zentrale Schnittstelle zwischen dem Team und den Stakeholdern. Ohne klare Führung des Product Owners verliert das Team die Richtung. Der Product Owner setzt die Prioritäten und stellt sicher, dass das Team an den richtigen Dingen arbeitet. Wenn diese Rolle nicht ernst genommen wird, laufen die Projekte Gefahr, sich in unwichtigen Details zu verlieren oder die Bedürfnisse der Kunden zu verfehlen. Der Product Owner muss ständig präsent sein, Entscheidungen treffen und die Produktvision vertreten.

Was echte Agilität wirklich bedeutet

Agilität bedeutet nicht, dass alles unstrukturiert und spontan ist. Ganz im Gegenteil – es bedeutet klare Strukturen, klare Rollen und eine klare Vision.


Echte Agilität verlangt sogar mehr Disziplin als traditionelle Methoden. Es geht darum, flexibel zu sein, aber dabei die Kontrolle zu behalten.


Agilität bedeutet, dass ihr äußerst diszipliniert vorgehen müsst, um die Freiheiten, die das agile Framework bietet, auch wirklich nutzen zu können.


Hier sind die Schlüssel zu echter Agilität:


  • Klare Rollen und Verantwortlichkeiten Jeder im Team hat eine definierte Rolle, und es gibt keine Verwirrung darüber, wer was zu tun hat. Der Scrum Master sorgt dafür, dass das Team produktiv bleibt, der Product Owner vertritt die Interessen der Stakeholder und das Entwicklungsteam liefert die vereinbarten Ergebnisse. Klar definierte Rollen sorgen dafür, dass Verantwortung nicht verwässert wird und jeder weiß, worauf er sich fokussieren muss.

  • Strukturierte Meetings mit konkreten Zielen Ein Daily Standup, ein Sprint Planning, eine Retrospektive – all das sind keine optionalen Plauderrunden, sondern fokussierte Meetings mit einem klaren Zweck. Wenn ihr diese Events nicht ernst nehmt, werdet ihr schnell den Fokus verlieren. Meetings im agilen Umfeld sind dazu da, Entscheidungen zu treffen, Transparenz zu schaffen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Jedes Meeting hat seinen spezifischen Zweck und sollte niemals zur Gewohnheit ohne Substanz verkommen.

  • Verbindliche Zusagen für den Sprint: Flexibilität bedeutet nicht, dass alles immer in der Schwebe bleibt. Ein Sprint ist eine feste Vereinbarung über das, was erledigt werden soll. Diese Zusagen müssen eingehalten werden – oder der Prozess muss hinterfragt werden. Verbindliche Zusagen schaffen Klarheit und helfen dabei, realistische Erwartungen zu setzen. Wenn Zusagen immer wieder gebrochen werden, verliert das Team das Vertrauen in den Prozess und in seine eigene Leistungsfähigkeit.

  • Konsequente Verbesserung durch Retrospektiven Wenn ihr als Team nicht reflektiert, bleibt ihr stehen. Die Retrospektive ist der Ort, an dem ihr lernt, besser zu werden – nicht nur technisch, sondern auch im Umgang miteinander. Die kontinuierliche Verbesserung ist der Motor der Agilität. Teams, die ihre Retrospektiven ernst nehmen, wachsen über sich hinaus, weil sie Probleme nicht verdrängen, sondern aktiv angehen. Jede Retrospektive ist eine Gelegenheit, besser zu werden und als Team zu wachsen.

  • Transparenz durch sichtbare Arbeit und Fortschritt Sichtbare Backlogs, Taskboards, Fortschrittsdiagramme – all das sind Werkzeuge, um Transparenz herzustellen. Ohne Transparenz gibt es keine Kontrolle und keine Steuerung. Wenn jeder weiß, woran gearbeitet wird und was noch offen ist, fällt es leichter, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Transparenz ist nicht nur nach außen wichtig, sondern vor allem innerhalb des Teams, damit jeder seine Aufgabe im Kontext des Gesamtprojekts versteht.

Viele Unternehmen sind nicht reif für Agilität

Meine provokante These:


Viele Unternehmen sind schlichtweg nicht reif für Agilität.


Sie wollen die Freiheit, aber nicht die Verantwortung. Die Flexibilität, aber nicht die Disziplin.


Sie wollen die Geschwindigkeit, aber nicht die Verpflichtung zur kontinuierlichen Verbesserung.


Das Problem ist, dass echte Agilität auch heißt, Verantwortung zu übernehmen – Verantwortung für den Prozess, für das Ergebnis und vor allem für das Lernen aus Fehlern.


Agilität erfordert Mut. Mut, sich selbst zu hinterfragen. Mut, den eigenen Prozess zu hinterfragen. Mut, Dinge offen anzusprechen, die nicht gut laufen. Viele Unternehmen scheitern daran, weil sie Angst haben, sich selbst die Blöße zu geben.


Sie wollen den Anschein von Kontrolle wahren, statt wirklich zu lernen und sich zu verbessern. Und genau hier liegt der Unterschied zwischen denjenigen, die erfolgreich agil arbeiten, und denjenigen, die einfach nur behaupten, es zu tun.


Selbstreflexion ist hier der Schlüssel: Wenn ihr "agil" arbeitet, wie konsequent setzt ihr die Scrum-Events um? Wie diszipliniert verfolgt ihr die Retrospektiven? Wie viele eurer agilen Praktiken sind nur eine schöne Fassade, hinter der sich das altbekannte Chaos verbirgt? Stellt euch die Frage, ob ihr wirklich agil seid oder nur so tut, als wäret ihr es.


Echte Agilität bedeutet, immer wieder den Status quo zu hinterfragen und sich selbst herauszufordern.



Fazit: Agilität ist kein Freifahrtschein für Chaos

Es wird Zeit, dass wir aufhören, "agil" als Entschuldigung für schlechtes Projektmanagement zu missbrauchen.


Agilität ist ein Werkzeug – und wie jedes Werkzeug muss man es richtig einsetzen. Ein Hammer kann ein Haus bauen oder zerstören, je nachdem, wie man ihn einsetzt. Genauso ist es mit Agilität.


Echte Agilität bedeutet harte Arbeit, Disziplin und ein ständiges Hinterfragen des eigenen Tuns. Es bedeutet, klare Strukturen zu schaffen, auch wenn man flexibel bleibt.


Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und nicht zu versuchen, alles auf den "agilen Prozess" abzuwälzen.


Agilität bedeutet, ein Team zu sein, das sich ständig verbessert und gemeinsam an einem Strang zieht, ohne dass Chaos die Oberhand gewinnt.


Meine Botschaft an euch: Wenn ihr wirklich agil sein wollt, dann habt den Mut zur Disziplin, zur Selbstreflexion und zum ständigen Lernen.


Dann, und nur dann, werdet ihr die Vorteile der Agilität wirklich erleben. Agilität ist kein einfacher Weg, aber es ist der richtige Weg, wenn ihr bereit seid, die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen.


Bis zum nächsten Mal.


Jörg Tausendfreund

Projektmanagement-Erklärer & Agilitäts-Beführworter


P.S.: Und wenn euer "agiles" Projekt mal wieder im Chaos endet, ruft mich an. Vielleicht kann ich euch noch retten – aber besser wäre es, ihr würdet es von Anfang an richtig machen. 😉


Und denkt daran: Agilität beginnt im Kopf und zeigt sich in euren Taten – nicht in euren Worten.

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