30 Projekte gleichzeitig? Das ist kein Projektmanagement
- Jörg Tausendfreund
- vor 7 Tagen
- 4 Min. Lesezeit

Das ist strukturiertes Risiko!
Hallo, meine lieben Feuerlöscher und Prioritäts-Akrobaten!
Hier ist wieder euer Jörg Tausendfreund, Projektmanagement-Erklärer und der Mann, der zu viele „Projektmanager“-Rollen gesehen hat, in denen nichts gemanagt wird außer Erwartungen, Eskalationen und Ausreden.
Meine These heute:
Wer 20, 30 oder 40 Projekte gleichzeitig „betreut“, macht kein Projektmanagement – er betreibt Zufalls-Risikomanagement.
Und die Rechnung zahlt ihr jeden Tag mit Zeit, Nerven, Qualität und Marge.
Der stille Irrsinn: 20–40 parallele Vorhaben – und kein Ende in Sicht
Das Muster ist überall gleich: Projektleiter:innen koordinieren dutzende Vorhaben, schreiben Statusberichte, moderieren Engpässe, übernehmen Fachaufgaben, tragen Termine zusammen, dämpfen Eskalationen – und führen kein einziges Projekt durchgängig von A bis Z. Ergebnis?
Koordination statt Führung. Verwalten statt entscheiden.
Die Organisation ist nicht projektleitungsfähig, sondern reaktiv-koordinationsfähig. Das ist der Systemfehler, nicht der Mensch.
Der Kernfehler: Ein Rollenmodell, das es nicht geben dürfte
Viele Titel, wenig Mandat. In Stellenbeschreibungen klingt alles sauber, in der Realität ist die Rolle eine Doppel- oder Dreifachrolle:
Koordinator:in + Fachmensch + Eskalationspuffer + „Zur-Not-fix-mal“-Kümmerer
– aber nicht End-to-End-Projektleitung mit echter Steuerungsverantwortung.
Mit 30 parallelen Projekten kann niemand klare Visionen schaffen, Stakeholder steuern, Risiken systematisch managen oder nachhaltig lernen.
Das ist nicht fehlende Kompetenz – das ist fehlendes Design.
Harte Auswirkungen – täglich, aber für den Moment unsichtbar in den Kostenstellen
Effizienz-Killer Kontextwechsel sind die teuerste Form von Verschwendung in der Wissensarbeit.
Qualitätsrisiko Dauerunterbrechungen erzeugen Blindspots und Fehler.
Eskalationsmaschine Je mehr parallel, desto mehr Feuer.
Strategischer Blindflug Innovation, Lernen, Standards – alles unter der Reaktionsdecke erstickt.
Burnout-Treiber Ständige Getriebenheit erodiert Motivation und Bindung.
Die Opportunitätskosten sind oft höher als die direkten Projektkosten – nur tauchen sie nirgends auf.
Warum klassische (und agile) Lehrbücher hier versagen
PMBOK, PRINCE2, V-Modell, Wasserfall – ebenso wie Scrum, SAFe & Co. – setzen Fokus voraus: klare Ziele, verbindliche Planung, echte Steuerung, Verantwortung, Priorität.
Mit 20–40 parallelen Baustellen ist das schlicht unmöglich. Wer glaubt, mit Methodennamen die Physik von Fokus und Kapazität zu überlisten, verwechselt Etiketten mit Wirkung.
Wie Organisationen da hineinrutschen
(und warum sie dort bleiben)
Historisch gewachsen Mehr Aufträge, gleiche Kapazität – „so war’s halt immer“.
Fehlende Governance Keine Priorisierung, keine WIP-Limits, keine Portfoliosteuerung.
Projektinflation Alles wird zum „Projekt“, sogar Routinearbeit.
Unklare Verantwortungen Viele Erwartungen, wenig Befugnis.
Irrglaube „Mehr parallel = mehr Output“ In Wahrheit: Mehr parallel = exponentiell weniger Output.
Der Systemwechsel – was Organisationen sofort tun sollten
Rollenklarheit schaffen Fachrolle ≠ Koordination ≠ Projektleitung. Eine Person = eine primäre Rolle, nicht fünf. Mandat + Befugnis gehören zusammen.
Projektarten trennen Routine (keine PM-Struktur), Standardprojekt (leichtes PM), Sonderprojekt (echtes PM). Nicht alles ist „Projekt“.
Priorisierung & WIP-Limits Portfolio entscheidet Start/Stop/Weiter; begrenzt parallele Arbeit explizit. WIP ist kein Lean-Gimmick, sondern Überlebensstrategie.
Multi-Projekt-Board etablieren Was läuft? Was blockiert? Was ist gefährdet? Was hat Priorität? Sichtbarkeit schafft Entscheidungen.
Entscheidungs- & Eskalationspfade Projektleitung darf nicht „zuständig, aber nicht befugt“ sein. Decision-SLAs (z. B. 5 Tage) verbindlich machen.
Engpassmanagement Wer/was ist Engpass? Was entlastet ihn? Wie verhindern wir die Wiederkehr? TOC-Denken (Theory of Constraints) ins Portfolio holen.
Der Systemwechsel – was Projektleitungen heute tun können
Managing Up Erwartungen und Grenzen sichtbar machen. Prioritäten nach oben transparent – mit Konsequenzen.
Fokussierte Kommunikation Weniger „Status“, mehr Entscheidungsvorlagen.
Selbstorganisation stabilisieren Timeboxing, Tages-Top-3, Puffer, Stopp-Regeln.
Schnittstellen führen Proaktiv klären statt warten.
Delegation einfordern PM ist Steuerung, nicht Facharbeit.
Du kannst das System nicht alleine heilen – aber du kannst deine Wirksamkeit schützen.
Gedankliches Mini-Szenario (kompakt):
Vom Flächenbrand zur Steuerbarkeit in 6 Wochen
Ausgangslage:
26 „strategische“ Projekte, alle grün, Ressourcen am Limit, Eskalationen im Wochentakt.
Eingriff:
One-Pager für jedes Projekt (Ziel, Nutzen, Aufwand, Risiken, Abhängigkeiten), Portfolio-Board 60′/Monat („entscheiden, nicht diskutieren“), Decision-SLA 5 Tage, Kapazitätsbild + WIP-Limit, Engpass identifiziert und geschützt.
Ergebnis (Q2):
7 Projekte gestoppt, 5 beschleunigt, Time-to-Decision von 18 → 6 Tagen, Forecast-Genauigkeit +22 %, Stimmung messbar besser.
Fünf Sofort-Schritte (ab heute)
Projektinventur auf 1 Seite Alle Vorhaben mit Nutzen, Aufwand, Status, Eigner.
One-Pager verpflichtend Kein Projekt ohne Ziel/Nutzen/Risiko/Abhängigkeiten.
Portfolio-Board terminieren (in 4 Wochen) Start/Stop/Weiter mit Konsequenzen.
Decision-SLA 5 Tage + Decision-Log Verzögerungen sichtbar inkl. Kosten der Verzögerung.
Ressourcenbild erstellen + WIP-Limit Engpässe offenlegen; max. 3 Hauptstreams parallel.
Selbsttest: „Wie viele Projekte sind zu viele?“
Beantworte ehrlich mit Ja/Nein – jedes Ja = Risikosignal:
Fokus & Belastung
Arbeitest du regelmäßig an >3 Themen parallel innerhalb einer Stunde?
Springst du häufig im Minutentakt?
Kennst du morgens deine Top-3 nicht?
Rolle & Verantwortung
Tust du Facharbeit und koordinierst?
Sind deine Entscheidungsrechte unklar?
Wirst du für Dinge verantwortlich gemacht, die du nicht steuern kannst?
Struktur & Organisation
Keine klare Priorisierung?
Unklar, welche Projekte wirklich kritisch sind?
Musst du Engpässe selbst suchen?
Kein funktionierendes Multi-Projekt-Board?
Gesundheit & Verhalten
Dauerstress, Hetzen, Überstunden „zum Aufholen“?
Gefühl, nie wirklich fertig zu sein?
Auswertung
0–3 „Ja“: herausfordernd, aber gesund
4–7: kritische Zone
8–11: Überlastsystem
12+: Alarmstufe Rot – Systemversagen, kein PM.
Normwerte
1 Projekt ideal
2–3 anspruchsvoll machbar
4–7 nur bei Standardisierung
8–15 = Koordinationsrolle, kein klassisches PM
15+ = strukturelle Überlast
20–40 = systemisches Chaos.
Typische Fallstricke – und wie du sie meidest
Tool-Fetisch Ein PM-Tool ohne geklärte Prozesse erzeugt nur teure Transparenz über Chaos.
Mandatslücke Ohne Sponsorship wird jedes PM-Setup zum Papiertiger.
Template-Inflation Mehr Formulare ≠ mehr Fortschritt. Max. drei Pflichtartefakte: One-Pager, Risikoregister, Status.
Keine Entscheidungsrituale Berichte ohne Konsequenz sind Deko.
Parallelitis Mehr starten senkt Durchsatz. Sequenz schlägt Aktionismus.
Fazit: Mut zur Klarheit – oder Mut zum Zufall
Viele Unternehmen nennen es Projektmanagement.
In Wahrheit betreiben sie strukturiertes Risiko – jeden Tag.
Die gute Nachricht: Das System ist veränderbar – schnell.
Mit klaren Rollen, klaren Prioritäten, klaren Strukturen und klaren Entscheidungen.
Wer 30 Projekte gleichzeitig verantworten lässt, steuert nicht. Er hofft.
Und Hoffnung ist kein Verfahren.
Bis zum nächsten Mal.
Jörg Tausendfreund
Projektmanagement-Erklärer & Freund der fokussierten Projektarbeit
P.S.: Wenn du heute nur einen Schritt gehst: Portfolio-Board + One-Pager festlegen. In 14 Tagen siehst du, warum Fokus die lauteste Stimme im Raum schlägt.








Kommentare