Erst Projektkultur, dann KI
- Jörg Tausendfreund
- 28. Okt.
- 5 Min. Lesezeit

Warum ehrliche Ressourcenplanung wichtiger ist als jede Roadmap
Hallo, meine lieben Projektkapitäne und Daten-Dompteure!
Hier ist wieder euer Jörg Tausendfreund, Projektmanagement-Erklärer und der Mann, der KI-Tools schneller kommen und gehen sah, als ihr „Prompthilfe“ sagen könnt.
Meine These heute:
KI macht eure Projekte nicht besser – sie macht nur gnadenlos sichtbar, wo ihr euch selbst belügt.
Ich weiß, das klingt hart. Aber wer jetzt nicht ehrlich auf seine Kultur, Ressourcen und Prioritäten schaut, bekommt mit KI keine Wunderwaffe, sondern einen Spiegel. Und glaubt mir – der zeigt ungeschminkt, was bisher unter dem Teppich lag.
Die Ressourcenlüge – das große Selbstbetrugsprogramm
Viele Projektorganisationen führen ein Doppelleben:
Auf dem Papier ist alles fein. Ressourcen sauber geplant, Prioritäten klar, Deadlines abgestimmt.
In der Realität?
Die Hälfte der Mitarbeitenden arbeitet in fünf Projekten gleichzeitig, das Tagesgeschäft frisst jede Planung, und jede Projektleitung jongliert mit Fantasiequoten: „Mach mal hier zehn Prozent mit, da 0,5 FTE, dort noch ein kleines Arbeitspaket.“
Das Ergebnis:
Excel-Realität statt Unternehmensrealität.
Und jetzt kommt die KI ins Spiel: Sie plant präziser, schneller, schöner – aber auf Basis eurer Illusionen.
Wenn eure Kapazitätsplanung auf Hoffnung basiert, wird die KI sie nur effizienter durchrechnen.Ihr bekommt also nicht weniger Frust, sondern mehr – nur in Echtzeit und mit bunter Visualisierung.
Die Wahrheit ist brutal einfach: Ehrlichkeit schlägt jede KI.
Drei Wahrheiten, die mehr bringen als jedes Dashboard
Kapazitätswahrheit Jede Rolle bekommt verbindliche Projektzeit – in Stunden, nicht in Prozent. 40 % heißt nicht „so viel, wie gerade geht“.
Rote Linie Pro Quartal klar festlegen, was nicht mehr reinpasst. Keine stillschweigende Überlastung mehr.
Priorisierung mit Konsequenz Wenn alles wichtig ist, ist am Ende alles egal. Entscheide sichtbar, was Vorrang hat – und stehe dazu.
KI kann euch helfen, das transparent zu machen – aber sie kann es nicht für euch entscheiden.
Kultur vor Prozess vor Tool
Viele Organisationen glauben, Prozesse seien gleichbedeutend mit Professionalität. Aber die Wahrheit ist:
Prozesse funktionieren nur, wenn die Kultur dazu passt.
Ich habe Unternehmen gesehen, die PRINCE2 auf Hochglanz implementiert haben – und gleichzeitig in Meetings sitzen, in denen niemand sich traut, ehrlich zu sagen, dass die Ziele unrealistisch sind. Ich habe agile Teams erlebt, die brav ihre Dailys abhaken, aber nie fragen, wie sie wirklich zusammenarbeiten.
Kultur schlägt Methode. Immer.
KI kann helfen, effizienter zu werden – aber sie kann keine Kultur retten, die Unehrlichkeit belohnt.
Praxis-Check – Drei Fragen, die du dir stellen solltest
Gibt es echte Ownership – oder nur kollektives „Wir“ ohne persönliches „Ich“?
Wissen alle, wie viel sie fürs Projekt wirklich freigestellt sind?
Entscheidet ihr nach Wert – oder nach politischem Einfluss?
Wenn du hier schon ins Stocken kommst: Fang dort an. Nicht bei Prompts.
Wo KI heute wirklich hilft
Ich bin kein KI-Verweigerer – ich nutze sie täglich. Aber eben da, wo sie hilft, nicht wo sie denken soll.
Risikoanalyse KI erkennt in Sekunden, wo Projektpläne unrealistisch sind oder Stakeholder zu wenig Beachtung finden.
Situationsanalyse Sie sieht Muster in Statusberichten, Protokollen, Lessons Learned – und zieht Schlüsse, die du übersehen hättest.
Meetings asynchronisieren Sie schreibt Protokolle, fasst To-Dos zusammen, filtert nach Rollen. Die Zeitersparnis ist enorm.
Standardisierung Sie sorgt für Konsistenz – in Templates, Berichten, Kommunikationsplänen.
Wissensrecycling Alte Projektdokumente werden endlich nutzbar, weil sie verschlagwortet und aufbereitet werden.
Das alles funktioniert – aber nur, wenn du weißt, was du willst. KI ist kein Projektleiter. Sie ist dein Spiegel.
Quick Wins – Drei Dinge, die du jetzt umsetzen kannst
Nutze KI für Analyse und Reflexion, nicht für Planung und Steuerung.
Lasse Meetings transkribieren, Aufgaben extrahieren, Entscheidungen dokumentieren.
Füttere KI mit Lessons Learned – und prüfe, welche Muster sich wiederholen.
Der gemeinsame KI-Werkraum
Viele Unternehmen erleben gerade ihr eigenes Babylon: Jede Abteilung nutzt andere Tools, eigene Prompts, eigene Agenten – und am Ende versteht keiner mehr den anderen.
Die Lösung heißt: Ein gemeinsamer KI-Werkraum.
Ein Ort, an dem alle Projektartefakte, Prompts und Governance-Regeln zusammenlaufen.
Das ist kein IT-Projekt. Das ist Führung.
So könnte das aussehen:
Zentrales Repository für Projektdaten, Reports, Artefakte.
Kuratierte Prompt-Bibliothek – gepflegt vom PMO.
Standardisierte Rollen & Agenten (Wer darf was? Wer prüft was?).
Klare Governance-Punkte: Wo bleibt der Mensch im Prozess?
So entsteht Vertrauen. Denn KI darf automatisieren – aber sie darf nicht übernehmen.
Agil? Nur mit Fokus und Ownership
Viele Teams nennen sich agil – sind es aber nicht.Echte Agilität bedeutet Fokus, Ownership und Entscheidungsfreiheit.
Was passiert stattdessen?Teams arbeiten gleichzeitig an fünf Streams, Entscheidungen sind diffus, Prioritäten wechseln wöchentlich – und dann wundert man sich, warum KI-Vorschläge „nicht passen“.
Kein Wunder: Sie hat nie eine klare Entscheidungsbasis bekommen.
KI kann Muster erkennen, Backlogs priorisieren, Risiken clustern – aber sie kann kein Chaos ordnen, das auf fehlendem Fokus basiert.
Governance, Sicherheit, Verantwortung
Gute Governance ist keine Bremse – sie ist euer Airbag.Ihr braucht Regeln, bevor ihr beschleunigt:
Welche Entscheidungen bleiben menschlich (z. B. Risiken, Scope, Budget)?
Welche Daten dürfen verarbeitet werden?
Wie werden Prompts, Agenten und Outputs dokumentiert?
KI darf nicht „im Stillen“ agieren. Sie muss prüfbar, erklärbar, nachvollziehbar bleiben. Nur so bleibt Vertrauen erhalten.
Der KI-Reflexionscheck – Wie ehrlich ist dein Projekt wirklich?
Bewerte ehrlich von 1 (trifft nicht zu) bis 5 (trifft voll zu):
Unsere Ressourcenplanung basiert auf realer Verfügbarkeit, nicht auf Wunschdenken.
In unseren Projekten wird offen über Engpässe gesprochen.
Entscheidungen werden nach Wert, nicht nach Lautstärke getroffen.
Wir wissen genau, welche Daten in KI-Systeme eingespeist werden – und warum.
Wir nutzen KI zur Reflexion, nicht zur Flucht vor Verantwortung.
Auswertung:
20–25 Punkte: Glückwunsch! Ihr habt Führungskultur – KI wird euch beschleunigen.
10–19 Punkte: Ihr habt Potenzial, aber noch Baustellen bei Ehrlichkeit & Ownership.
<10 Punkte: Stoppt jeden KI-Rollout – ihr braucht zuerst Kultur, nicht Code.
Der 90-Tage-Plan zur Ehrlichkeit
Phase 1 (0–30 Tage) Reifegrad-Check (Kultur, Kapazität, Priorisierung).Drei ehrliche Use Cases für KI definieren (Analyse, Meeting-Doku, Status).
Phase 2 (31–60 Tage) Werkraum aufsetzen, Rollen & Prompts definieren, Quick Wins realisieren.
Phase 3 (61–90 Tage) Governance verankern, Kultur überprüfen, rote Linien festlegen.
Ergebnis: KI wird Werkzeug, nicht Selbstzweck.
Die häufigsten Ausreden
„KI ist zu teuer.“ → Die Kosten für Selbstbetrug sind höher.
„Unsere Daten sind zu sensibel.“ → Datenschutz ist kein Hindernis, sondern Designfrage.
„Wir sind schon agil.“ → Zeig mir deinen Fokus. Wenn er bei 40 % liegt, bist du hybrid – nicht agil.
„Wir brauchen erst das perfekte Tool.“ → Nein. Fang an. Lernen ist Teil des Prozesses.
Fazit: KI skaliert, was ist
KI deckt keine Schwächen ab – sie vergrößert sie. Sie multipliziert eure Kultur, eure Prioritäten, eure Ehrlichkeit.
Wenn du willst, dass sie Gutes skaliert, musst du zuerst Führung, Kultur und Verantwortung klären. Dann wird KI nicht zum Selbstzweck, sondern zu einem echten Hebel für Klarheit, Wirksamkeit und Erfolg.
Bis zum nächsten Mal.
Jörg Tausendfreund
Projektmanagement-Erklärer & KI-Power-User
P.S.: Wenn du heute nur einen Schritt gehst, dann diesen: Nimm deine letzte Ressourcenplanung – und prüfe, wie viel davon ehrlich ist. KI wird dir nichts verzeihen, was du selbst schon lange weißt.








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